Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888)
Schon von seinen Zeitgenossen ehrenvoll als „Vater Raiffeisen“ bezeichnet, gebührt dem Sozialreformer aus Hamm ein fester Platz in der deutschen Geschichtsschreibung. Der aus christlichem Sozialverständnis und Tatkraft erwachsene Genossenschaftsgedanke ist untrennbar mit seinem Namen verbunden und trägt mittlerweile weltweit seine Handschrift.
Raiffeisen wurde 1818 in Hamm/ Sieg als Sohn des dortigen Bürgermeisters geboren. Da ihm der kostspielige Besuch einer höheren Schule verwehrt blieb, erhielt er Privatunterricht bei einem Ortsgeistlichen. Dies ermöglichte ihm eine militärische Ausbildung als Unteroffizier in Köln und Koblenz. 1843 zwang ihn ein Augenleiden, seine Militärlaufbahn als Inspekteur der Sayner Hütte zu beenden und in den Verwaltungsdienst zu wechseln. Nach kurzen Stationen in Koblenz und Mayen kehrte er 1845 wieder in den Kreis Altenkirchen zurück. Hier wirkte er zunächst als Bürgermeister in Weyerbusch und seit 1848 in Flammersfeld, bevor ihn die preußischen Regierung 1852 in gleicher Funktion nach Heddesdorf (Kreis Neuwied) berief.
Im Westerwald sah sich Raiffeisen vielfach mit den Armutsrisiken in kleinbäuerlichen Strukturverhältnissen konfrontiert, die vor allem aus der Realteilung im Erbgang herrührten. Schwere Missernten insbesondere 1845/46 verschärften die Lage zusätzlich und verursachten Preissteigerungen für Getreide oder Kartoffeln. Als erste Reaktion ließ Raiffeisen im Hungerwinter 1846/47 staatliche Mehlrationen entgegen geltender Anweisungen gegen Vorschuss verteilen. Zudem gründete er den Weyerbuscher Brotverein, dessen Mitglieder durch Anleihen den Ankauf größerer Mengen Mehls und den Bau eines Backhauses ermöglichten. Den aus dem Gemeinschaftsprojekt resultierenden Kostenvorteil gab der Verein an die Bedürftigen weiter, indem diese verbilligtes Brot und später auch Saatkartoffeln erhielten.
Mit der Gründung des Flammersfelder Hilfsvereins 1849 gewann Raiffeisens Idee genossenschaftlicher Selbsthilfe weiter an Kontur. Erneut erklärten sich die Mitglieder bereit, minderbemittelte Landwirte nach dem Prinzip der Solidarhaftung mit Anleihen zu unterstützen. Indem er bewusst langfristige Kredite ermöglichte, stellte sich Raiffeisen gegen Geschäftspraktiken, die gerade im Viehhandel Käufer in finanzielle Bedrängnis bringen konnten. Weitere wichtige Reformimpulse gingen von der Verbesserung der allgemeinen Schulbildung aus. Hierzu zählten der Bau neuer Schulhäuser oder die Anstellung qualifizierter Lehrer mit geregeltem Auskommen. Ein Langzeitprojekt Raiffeisens war der Ausbau des Straßennetzes hin zur verkehrstechnisch wichtigen Rheintrasse, womit der Landbevölkerung ein leichterer Zugang zu neuen Absatzmärkten eröffnet wurde.
1864 rief Raiffeisen den Heddesdorfer Darlehenskassen-Verein ins Leben, dem noch einige auch karitativ ausgerichtete Initiativen vorausgegangen waren. 1866 veröffentlichte er die Grundzüge seines Genossenschaftsgedankens in einem Buch und beteiligte sich auch nach Eintritt in den Ruhestand 1865 am überregionalen Aufbau weiterer Vereine. Mit der Landwirtschaftlichen Zentralkasse für Deutschland (1876) sowie dem Anwaltschaftsverband ländlicher Genossenschaften (1877) entstanden zentrale Einrichtungen für Spar- und Darlehenskassen-Vereine auf nationaler Ebene. Noch kurz vor seinem Tod 1888 gab es Bestrebungen, Raiffeisen für seine Verdienste die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Auch weit über seinen engeren Wirkungskreis hinaus erinnern heute zahlreiche Gedenkstätten an sein Lebenswerk.